Schützt Factoring vor einer Insolvenzanfechtung?

In diesem Artikel haben wir Ihnen einige Risiken genannt, die das Factoring mit sich bringen kann – und wie Sie vorsorgen sollten. Neben einer möglichen Limitkürzung oder -streichung und der Nichteinhaltung von Obliegenheiten droht weiteres Ungemach dann, wenn der Forderungsschuldner in die Insolvenz geht und ein Insolvenzanwalt mit Anfechtungsabsichten die Bühne betritt. Mit den möglichen Folgen für den Forderungsverkäufer beschäftigen wir uns – wie angekündigt – nun etwas intensiver.

Beginnen wir bei den Grundlagen:

  • Beim Factoring kauft ein Factoringunternehmen – der Factor – Forderungen an. Sein Anschlusskunde – der Factoringnehmer – tritt die Forderung vollständig ab. Legt er das Factoring offen, kann der Schuldner auch nur an den Factor Zahlung leisten, um seine Schuld zu begleichen.
  • Ein Insolvenzverwalter kann (und wird) beglichene Forderungen rückwirkend anfechten, wenn er den Eindruck hat, dass der Gläubiger Kenntnis von einer drohenden Insolvenz des Forderungsschuldners hatte. (Allein diese Fragestellung ist in der Praxis nicht leicht zu beantworten und war bereits mehrfach Gegenstand von Gerichtsverhandlungen – soll aber hier nicht Thema sein.)
  • Wichtiger für unsere aktuelle Thematik: Angefochten kann immer nur der, der Inhaber der Forderung ist und das Geld erhält. Weil im Offenen Verfahren dem Gläubiger mitgeteilt wird, dass die Forderung einem anderen gehört, muss die Anfechtung an den Factor adressiert sein.

Hinweis: Wegen der Vielzahl von Factoring-Varianten beleuchten wir in diesem Artikel die beiden gängigsten, offenen Verfahren. Im Stillen Verfahren ist das Geldeingangskonto beim Kunden und kann daher angefochten werden.

Im offenen Einvertragsmodell kann der Forderungsverkäufer unseres Erachtens nicht in Anspruch genommen werden. Denn durch die Offenlegung des Forderungsverkaufs ist klar, dass der Forderungsverkäufer nicht mehr Eigentümer der Forderung ist. Der Insolvenzverwalter muss immer über den Factor gehen, um etwaige Ansprüche gelten zu machen.

Im Zweivertrag ist ohnehin klar geregelt, dass die Warenkreditversicherung an den Factor abgetreten wird. Nur dann, wenn der Factor für etwaiges Fehlverhalten des Factoringnehmers geradestehen muss, muss er diesen wiederum in Regress nehmen und kann Schadensersatz verlangen.

Juristisch eine nicht einheitlich bewertete Frage: Kann dem Factor Wissen zugerechnet werden, das der Forderungsverkäufer hatte?

Urteil in Kiel: Wissen des Forderungsverkäufers werde Factor zugerechnet

Was aber passiert, wenn der Insolvenzverwalter argumentiert, der Factoringnehmer habe von der drohenden Insolvenz des Schuldners gewusst – und der Factor müsse sich diese Kenntnisse zurechnen lassen? Diesen Fall behandelte im September 2020 das Landgericht Kiel und im Juni 2021 schließlich in der Berufung das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht. Während das Landgericht die Klage des Insolvenzverwalters noch abwies, gaben die Richter des OLG dem Insolvenzverwalter Recht: Der Factor müsse sich auf Grundlage des § 166 BGB das Wissen des Forderungsverkäufers um die Zahlungsunfähigkeit des Forderungsschuldners zurechnen lassen. (Das Urteil können Sie hier nachlesen.)

Im konkreten, dem Urteil zugrundeliegenden Fall hatte ein Lieferant einen Factoringvertrag geschlossen und eine Forderung an den Factor abgetreten. Nachdem es zu einer Zahlungsverzögerung kam, bat der Forderungsverkäufer den Schuldner um Begleichen der Rechnungssumme. Darin erkennt das Gericht ein Handeln für den Factor, und damit: ein gemeinsames Wissen über eine mögliche Zahlungsnot und drohende Insolvenz. So argumentierte auch der Insolvenzanwalt – und hatte die – noch vor Insolvenz beglichene Forderung – angefochten.

Folgt man dieser Argumentation, heißt dies: Was der Forderungsverkäufer weiß, muss auch der Factor wissen.

Urteil in Köln: Wissen des Forderungsverkäufers werde Factor nicht zugerechnet

Das LG sowie das OLG Köln wiederum ordneten einen ähnlichen Fall gänzlich anders ein. Gemäß Factoring-Rahmenvertrag sei allein der Factor mit dem Einzug der Forderungen betraut. Kenntnisse, die der Forderungsverkäufer um die finanzielle Situation des Schuldners habe, könne man dem Factor nicht zurechnen.

Auch der Wirtschaftsanwalt Wolf Stumpf sieht das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts kritisch. In einem ausführlichen Artikel im Betriebsberater seziert er die Argumentationsführung aus allen Perspektiven – und führt schließlich an, dass eine Wissenszuordnung unter anderem deshalb nicht erfolgen könne, weil Factor und Forderungsverkäufer rechtlich und organisatorisch unabhängig agieren.

Weitere Fragen? In unseren Factoring-FAQs geben wir Ihnen Antworten, die Ihnen helfen, die richtige Factoring-Lösung für Ihr Unternehmen zu finden.

Factor und Factoringnehmer sind (k)eine Wissengemeinschaft

„Beim echten Factoring fällt die angekaufte Forderung in das Vermögen des Factors“, erklärt Wolf Stumpf auf unsere Anfrage. „Ihm allein steht damit auch die Befugnis zu, sie beim Schuldner einzufordern. Der Forderungsverkäufer ist nach dem gesetzlichen Leitbild nicht befugt, über die nunmehr ‚fremde“ Forderung zu disponieren. Hoffentlich wird der BGH die Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen OLG korrigieren.“ 

Als Fachmakler für Factoring wünschen wir von der Wa-Ka mindestens mehr Rechtssicherheit für alle Marktteilnehmer. Und träfe es zu, dass Factor und Forderungsverkäufer keine Wissensgemeinschaft darstellen, würde dies bei Forderungsverkauf eingeschränkte Anfechtungsmöglichkeiten für den Insolvenzverwalter mit sich bringen. Das Risiko, in Regress genommen zu werden, würde sowohl für den Factoringnehmer als auch für den Factor deutlich sinken.


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