Kreditversicherung: Ein EuGH-Urteil mit weitreichenden Folgen für nahezu jede WKV-Police

Wie Urteil C482/21 des Europäischen Gerichtshofs für fast jeden WKV-Versicherungsnehmer höheres Risiko heraufbeschwört. Und: Was auf die Versicherungsnehmer in der EU zukommt.

Ein EuGH-Urteil nebst daraufhin veranlasster Gesetzesänderung in Österreich überraschte kürzlich die Kreditversicherungsbranche: Demnach dürfen Kreditversicherungsnehmer, die eine Entschädigungsleistung in der Warenkreditversicherung (WKV) erhalten, die gezahlte Mehrwertsteuer für den Gesamtausfall nicht mehr beim Finanzamt zurückfordern. In den meisten Kreditversicherungsverträgen ist jedoch geregelt, das der Versicherer im Schadensfall den Nettowert erstattet. Würde diese Praxis so beibehalten,  würde die Selbstbeteiligung der Versicherungsnehmer künftig deutlich steigen. Wir haben es hier also mit einem Urteil hoher Tragweite zu tun.

Eine Steuerbehörde, die trotz Forderungsausfall Steuern einbehalten möchte

Alles begann mit einem unauffälligen, gänzlich typischen Versicherungsfall in Ungarn: Ein Versicherungsnehmer erlitt einen Forderungsausfall, und sein Versicherer ersetzte ihm diesen Schaden gemäß der bestehenden Police – inklusive der in der Rechnung ausgewiesenen Mehrwertsteuer. Auf Basis des Versicherungsvertrags ging die Forderung vom Versicherungsnehmer auf den Versicherer über.

Anschließend beantragte der Versicherer beim ungarischen Finanzamt die Erstattung der Mehrwertsteuer. Schließlich hatte der Abnehmer nicht gezahlt, der geschädigte Versicherungsnehmer aber die Vorsteuer bereits abgeführt. Anders als erwartet lehnte die ungarische Steuerbehörde die Mehrwertsteuererstattung jedoch ab. Als Begründung gab sie an, der Versicherer sei schließlich nicht selbst steuerpflichtig gewesen.

EuGH Urteil WKV

Ein Gericht, das Widersprüche im geltenden Recht moniert

Dies nahm nun der Versicherer nicht hin und legte Einspruch ein: Als Rechtsnachfolger sei der Versicherer zur Steuererstattung berechtigt. Gleichzeitig verwies der Versicherer auf den Grundsatz der steuerlichen Neutralität nach EU-Recht. Die ungarische Behörde widersprach erneut mit der Begründung, dass nur der Steuerpflichtige selbst eine Erstattung beantragen könne. Zudem ersetze eine Versicherung stets eine Versicherungssumme – also den entstandenen Schaden – und keine Mehrwertsteuer. Das angerufene Gericht stellte nun nicht nur den Zeitpunkt infrage, ab wann eine Forderung als uneinbringlich gilt, sondern sogleich das national geltende Umsatzsteuergesetz vor dem Jahr 2020: Dieses sei unionsrechtswidrig.

Damit verließ der Fall das ungarische Gericht und landete als Akte C482/21 beim EuGH – mit der Aufforderung zu klären, inwieweit sich die Steuergesetze und -praktiken in der EU und den Mitgliedsstaaten möglicherweise widersprechen. Und ganz präzise, ob sich Kreditversicherer auf Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL berufen können, wenn sie dem Versicherten eine Entschädigung für die ausgefallene Forderung – inklusive der. MwSt – gezahlt haben und die Forderung zusammen mit allen Vollstreckungsrechten an den Versicherer abgetreten wurde.

Mehrwertsteuersystemrichtlinie (2006/112/EG) / Art. 90

Die Richtlinie 2006/112/EG regelt das gemeinsame Mehrwertsteuersystem der Europäischen Union. Sie gibt damit den Mitgliedsstaaten verbindliche Rahmenbedingungen vor, an denen sich die nationale Steuergesetzgebung orientieren muss. Auch wenn beispielsweise Steuerbeträge von Land zu Land abweichen, sollen mit der Richtlinie grundlegende Regeln harmonisiert sein – beispielsweise wird das bekannte Reverse-Charge-Verfahren hier geregelt. Artikel 90 der MwStSystRL geht u.a. auf die Nichtbezahlung oder Annullierung von Umsätzen ein und deren Effekt auf die Steuerbemessungsgrundlage ein. Die Richtlinie bleibt hier aber bislang nur sehr knapp, was die Auslegung sicherlich erschwert. Den Volltext der Richtlinie finden Sie auf den Webseiten der EU.

Ein Urteil, das die Branche herausfordert

Spätestens hier wird aus dem Routinefall ein Fall mit Sprengkraft – und alle WKV-Versicherten und -Versicherer müssen die bittere Pille nun schlucken. Der Auftrag war dabei klar: Der EuGH sollte in seinem Urteil eine Antwort auf die Frage liefern, warum das nationale Recht eine Steuererstattung nicht zulässt, obwohl die Mehrwertsteuersystemrichtlinie dies vorsieht, der Versicherer bereits entschädigt hat und die Forderung definitiv als uneinbringlich gilt.

Der EuGH wiederum antwortet mit einem Paukenschlag, denn er folgt weder dem nationalen Gericht noch dem klagenden Versicherer. Stattdessen stuft er Entschädigungsleistungen eines Kreditversicherers für seinen Versicherungsnehmer umsatzsteuerrechtlich als Gegenleistung für die vom Versicherten erbrachten, steuerpflichtigen Umsätze ein. Aus der Erstattungsleistung einer Versicherung wird so eine klassische, umsatzsteuerpflichtige Lieferung/Leistung, für die vom Versicherungsnehmer auch gezahlt wurde. Es kann sich nicht mehr auf Nichtzahlung nach Artikel 90 MwStSystRL berufen werden.

Damit wird nun beiden – sowohl dem Versicherer, aber auch dem Versicherten – die Möglichkeit genommen, die Steuerbemessungsgrundlage mindern zu dürfen. Heißt: die Mehrwertsteuer für eine Entschädigungsleistung geht nun weder an den Geschädigten noch an den Versicherer (zurück).

Aus dem Rechtsstreit vor einem ungarischen Gericht ist eine Entscheidung erwachsen, die EU-weit für alle Unternehmen Folgen haben könnte – sofern es sich um versicherte, inländische und umsatzsteuerpflichtige Umsätze dreht. Bei Auslandsumsätzen wird in der Regel nicht mit Mehrwertsteuer fakturiert. Es liegt nun an den Mitgliedsstaaten, das Urteil zum Anlass einer überarbeiteten Steuerpraxis zu nehmen. Österreich war hier Vorreiter, zum 1. Januar 2024 trat eine Neuregelung in Kraft. Der Selbstbehalt bei Kreditversicherungsverträgen wurde über Nacht von 10 Prozent der offenen Forderung auf bis zu 25 Prozent erhöht, da Versicherungsleistungen aus der Warenkreditversicherung nun umsatzsteuerpflichtig sind.

Das erwarten wir für Versicherungsnehmer

Wie geht es weiter, wie sollten Versicherte reagieren? Wie informieren die Versicherer und wie können wir, Ihr Fachmakler, Ihnen helfen? Erste Antworten haben wir an dieser Stelle für Sie gesammelt.

Unsere Einschätzung

Das Urteil sollte jeden Kreditversicherungsnehmer aufhorchen lassen. Es handelt sich um eine kleine Revolution in der Rechtsprechung, die nahezu jeden WKV-Vertrag in der EU künftig betreffen könnte. Jeder Vertrag, der Inlandsumsätze innerhalb der EU absichert, wird unter Umständen neu geregelt werden müssen. Noch wissen wir nicht, welches Land der EU die neue Rechtsprechung wann umsetzt. Klar ist aber: Wer nicht vorbereitet ist, läuft nach dem EuGH-Urteil nun in deutlich höheres Risiko in der WKV hinein.

Wir haben die Kreditversicherer in Deutschland um eine Stellungnahme gebeten.

Allianz Trade hat nun, Anfang April 2024, in einem Newsletter zum Urteil – Stellung genommen: „Dieses Urteil verbietet nicht grundsätzlich die Rückerstattung von Steuern, sondern stellt fest, dass eine nationale Regelung, die die Korrektur der Umsatzsteuer bei besagten Versicherungszahlungen versagt, nicht gegen das Unionsrecht verstößt. Versicherungsnehmer in Deutschland können ihre Voranmeldung der Umsatzsteuer beim Finanzamt weiterhin wie gewohnt anpassen. Für sie ändert sich also nichts.“

Wenn es keine Änderungen geben sollte, würden wir uns für unsere deutschen Versicherungsnehmer freuen.

Bei Fragen  oder Gesprächsbedarf schreiben Sie uns. Wir rufen zurück. Oder wenden Sie sich direkt an unsere Experten:

Heiko Walter

Geschäftsführer
Wa-Ka Kreditversicherungsmakler GmbH
Wa-Ka Credit Solutions GmbH
Tel.: (0171) 7 64 44 22
E-Mail: walter(at)wa-ka.de

Jens Kammann

Jens Kammann

Geschäftsführer
Wa-Ka Kreditversicherungsmakler GmbH
Tel.: (0171) 7 64 44 24
E-Mail: kammann(at)wa-ka.de

Carsten Störmann

Carsten Störmann

Firmenkundenberater
Wa-Ka Kreditversicherungsmakler GmbH
Tel.: (0171) 7 64 44 20
E-Mail: stoermann(at)wa-ka.de

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